Zahlreiche Gäste beim Jahresempfang der Handwerkskammer Dortmund

„Bürokratie-Wahnsinn verdirbt die Lust an der Arbeit“

Gruppenfoto Jahresempfang 2024
Auf dem Foto (v. l.): Ben Ngaleba, Mister Handwerk 2024, Reinhold Schulte, Aufsichtsratsvorsitzender SIGNAL IDUNA Gruppe, Mona Neubaur, Stv. Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW, Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer IHK zu Dortmund, Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, Thomas Westphal, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Berthold Schröder, Präsident HWK Dortmund, MdB Jens Peick, Heinz-Herbert Dustmann, Präsident IHK zu Dortmund, Hans Hund, Präsident HWK Münster, Carsten Harder, Hauptgeschäftsführer HWK Dortmund und Lea Heuer, Miss Handwerk 2024. © Isabella Thiel / Handwerkskammer Dortmund

Dortmund. „Seit Jahren steigt die bürokratische Last im Handwerk. Besonders die kleinen Betriebe haben es schwer. Dort wird jede Hand gebraucht. Aber wenn ständig irgendwelche Formulare ausgefüllt, Papiere archiviert oder Verfahren eingehalten werden müssen, bleibt weniger Zeit für die eigentliche Arbeit. Das bekommen dann auch Kunden zu spüren“, sagte Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer (HWK) Dortmund, in seiner Rede beim gestrigen Jahresempfang der HWK an der Ardeystraße. Zahlreiche Entscheidungsträger aus Handwerk, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Politik, Verwaltung, Gewerkschaften und Kirchen folgten der Einladung des Kammer-Präsidenten.

Bürokratie hat Auswirkungen auf Gesellschaft
Geplatzte Rohrleitung, die Küche steht unter Wasser und der Handwerker hat keinen Termin mehr frei, weil er mit dem Schreiben von Dokumentationen beschäftigt ist. Der Betriebsinhaber erklärt seinen Mitarbeitenden, wieder einmal, bei der obligatorischen Fahrunterweisung, dass man bei Dunkelheit doch bitte das Licht am Wagen einschalten sollte.
Bürokratie ist nicht etwas Abstraktes, das nur Unternehmerinnen und Unternehmer angeht. Die ganze Belastung hat direkte Auswirkungen auf den Alltag und die Gesellschaft. Der Kammerpräsident verdeutlichte dies in seiner Rede mit zahlreichen anschauliche Beispielen aus der Praxis, bei denen Handwerkerinnen und Handwerker mehr mit bürokratischen Pflichten anstelle mit ihren eigentlichen Handwerkstätigkeiten beschäftigt sind.

Selbstverständlich seien nicht alle Vorschriften überflüssig, hielt Berthold Schröder fest. Bürokratie habe bis zu einem gewissen Grad seine Daseinsberechtigung, insbesondere wenn es darum gehe, Rechtssicherheit und Planungssicherheit zu schaffen. „Die Menge an Vorschriften und Regulierungen hat aber ein Ausmaß angenommen, das schwer zu bewältigen ist. Vor allem, wenn der eigentliche Arbeitsalltag weiterlaufen muss“, so der Zimmerermeister. Dabei gehe es nicht nur um die Zeit, die man mit dem Ausführen der Vorschriften verbringt. Man müsse diese Vorschriften erst mal verstehen. Zahlreiche Bestimmungen und Vorschriften seien so verfasst, dass man beim Lesen ein abgeschlossenes Jurastudium gut gebrauchen könne.

Unternehmen fühlen sich kontrolliert
Die Entlastungen aus der Politik seien nicht spürbar bei den Betrieben angekommen. Es gäbe Entlastungspakete sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Die Maßnahmen müssten jedoch viel mehr bei der Praxis ansetzen. „Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sagen, dass ihnen der Bürokratie-Wahnsinn die Lust an ihrer Arbeit verdirbt. Sie fühlen sich von all‘ den Vorgaben erstickt. Und sie fühlen sich kontrolliert. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Unternehmen dürfen nicht von vorneherein unter Generalverdacht gestellt werden.“

Geschäftslage im Kammerbezirk teilweise stabilisiert
Das Handwerk bewegt sich immer noch im Spannungsfeld zwischen Fachkräftemangel, gestiegenen Preisen und einer unsicheren wirtschaftlichen Lage. Unsere letzte Konjunkturumfrage hat gezeigt, dass sich die Lage bei unseren Betrieben teilweise eingependelt hat“, berichtete Schröder. „86 Prozent der Betriebe sind mit ihrer aktuellen Situation zufrieden; im Herbst 2023 waren es ebenfalls 86 Prozent. Das heißt aber nicht, dass alle Schwierigkeiten vom Tisch sind.“

Bautätigkeit wird ausgebremst
Besonders kritisch beobachte der HWK-Präsident die Lage am Bau. Seit 2023 prognostiziere er schon eine Verschlechterung. Die hohen Baukosten und die gestiegenen Zinsen würden wie ein Bremsklotz auf die Bautätigkeit wirken. Die Nachfrage sinke, es würden deutlich weniger Projekte angeschoben. Im Kammerbezirk hätten die Hälfte der befragten Betriebe einen Auftragsrückgang gemeldet.

Weichen stellen für ein starkes Europa
Abschließend warb der Kammer-Präsident für die Europawahl. „Die Europäische Union steht für Demokratie, Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte. Seit über 70 Jahren garantiert sie den Frieden in Europa. Selbst in diesen krisenreichen Zeiten profitiert Deutschland von dem Wohlstand und der Stabilität, die die Europäische Union gewährleistet Das Handwerk bekennt sich ausdrücklich zu Europa! Wir rufen daher unsere Mitgliedsbetriebe dazu auf, am 9. Juni für ein friedvolles Miteinander und gemeinsame Werte zu stimmen.“

Miss Handwerk Lea Heuer über ihren Weg als Zimmerin
Als Miss Handwerk 2024 vertritt Lea Heuer, Zimmerin in einem Bergkamener Betrieb, das Handwerk ein Jahr lang bundesweit als Botschafterin. Mit ihrer authentischen Rede beim Jahresempfang beeindruckte sie die Gäste, darunter Wirtschaftsministerin des Landes NRW Mona Neubauer und Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft NRW, und sprach offen über Chancen und Herausforderungen als junge Frau im Handwerk. „Wir müssen tolerant und offen sein, denn jeder hat seinen Platz im Handwerk verdient. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass sich jeder im Handwerk wohlfühlt, egal welches Geschlecht man hat, wie alt man ist oder wo man herkommt“, resümiert die Zimmerin.

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